In letzter Zeit stellte ich mir immer häufiger eine Frage, die seit dem Aufkommen der Moderne unzählige Male auf unterschiedliche Weise beantwortet wurde: was kann die Malerei noch? Ist sie in ihrer Form der Wirklichkeitsnachahmung nicht längst von Film, Foto und Virtual Reality abgelöst? Das mag der Fall sein. Heute glaubt niemand mehr einem Bild, dass es ein Fenster zu einer anderen Realität ist. Oder etwa doch? Ich persönlich empfinde ein von Hand gemaltes Bild oft als durchaus wirklicher als eine Fotografie. Das Gemälde ist wirklich im Sinne der Begegnung: die menschlichen Spuren auf der Oberfläche der Arbeit sind kaum zu ersetzten durch den maschinell sauberen Auftrag der Tinte. Auch kann der Fotoapparat oft nicht mit dem Prozess des händischen Farbauftrags mithalten. Wenn Benjamin dem Gemälde seine zeitgenössische Relevanz abspricht, da die Kunst ihre Aura durch die Fotografie verloren hat, so trifft das zu – auf die Fotografie. Dennoch malen wir Bilder. Sie scheinen eine tiefliegende Sehnsucht in uns zu erfüllen, einen Bereich des Menschseins zu stimulieren [Daniel ist gegen dieses Wort, da es zu prätentiös ist, und den Kontext sexualisiert]. Wie sehr auch andere Ausdrucksformen dazu in der Lage sind, zeigte sich mir vor einigen Wochen in Berlin.
Zu den bewegendsten Arbeiten, welche ich im vergangenen Jahr erleben durfte, zählt eine Installation von Alicja Kwade in der Berlinischen Galerie. Ein großer Raum, die Wände bedeckt mit dem Ausdruck ihres Genoms auf über 300.000 Seiten Papier, in Holz gerahmte Ampullen der zwölf Grundelemente des menschlichen Körpers, DNA-Stränge aus iPhones und eine Live Übertragung ihres Herzschlags direkt in den Ausstellungsraum. Die Präsenz der Künstlerin vor Ort war (obwohl zu keinem Zeitpunkt anwesend) überwältigend, die Fragilität und gleichzeitige ungeheure Komplexität des Menschen sehr gefühlvoll dargestellt. Ich war wirklich berührt.
So durfte ich feststellen, dass Wirklichkeit und Unmittelbarkeit eben doch nicht nur von der Malerei für sich beansprucht werden kann 😉 Auch wenn diese Überlegungen meine bisherige Arbeitsweise stark in Frage stellen, empfinde ich sie doch absolut als Zugewinn. Nach einer Weile der Auseinandersetzung merkte ich, dass viele der zugrundeliegenden Fragen unseren beiden Arbeiten immanent sind. Fragen nach der Existenz des Menschen, nach der Vergänglichkeit, das Herunterbrechen auf ausgewählte Objekte, welche als Sinnbilder fungieren u.v.m. Alles Probleme, wie sie sich auch mir beim Bearbeiten eines Bildes auftun.
Technologie, Wissenschaft, Kultur – alle drei Bereiche des menschlichen Fortschrittes sind nicht voneinander zu trennen. Und während der Kunstschaffende heute schnell das Gefühl vermittelt bekommen kann, seine Arbeit sei für die Gesellschaft unwichtig geworden, so glaube ich, dass das Gegenteil der Fall ist. Die Möglichkeiten zu berühren und in ihrem jeweiligen Wirkungsradius zu bewegen, haben nichts von ihrer Wichtigkeit eingebüßt.
Denn was kann Kunst?
Blicken wir zurück: ist Wolfgang Mattheuers’ Gemälde „Der Nachbar, der fliegen will“ nicht ein wunderbares Beispiel für Kunst, die ausspricht, was Worte nicht zu sagen vermögen? Wäre der Text des Liedes „All of Me“ von John Legend auch so bewegend, ohne die Musik? Sind die Skulpturen in den Ruinen der Antike, nicht die Diamanten unter all dem Stein?
Kunst ist immer im Zeichen ihrer Zeit entstanden, sie verkörpert die Gefühle, die Hoffnungen und Ängste der Menschen wie kein anderes Medium. Aber nicht nur im historischen Kontext ist sie von großer Bedeutung, auch im Hinblick auf die Gegenwart. Sie ist kaum rational begreifbar, lebt nicht durch Fakten oder Algorithmen (mit Ausnahmen), sondern handelt aus einer emotionalen, tiefgreifenden Basis heraus.
„You can try and read my lyrics off this paper before I lay ‚em
But you won’t take the sting out of these words before I say ‚em“
EMINEM
Die Künstlerinnen und Künstler leben durch ihre Werke. Nur durch das Schaffen, ist es ihnen möglich, ihr Inneres halbwegs verständlich auszudrücken. Zumindest trifft das auf mich zu. Ich denke zwar in Worten, doch lebe ich durch Bilder und gebe meinen Empfindungen Material, eine Form, eine Komposition. Als Künstler schaffe ich einen Moment des Innehaltens, welcher auf unterschiedliche Menschen, unterschiedliche Wirkungen haben kann. Ich glaube, dass das Undefinierte für die Seele ebenso wichtig ist, wie das Eindeutige. Träumen, so wichtig wie Denken.
Es kann ein Geschenk sein, einen geistreichen Film zu sehen oder ein gutes Musikstück anzuhören – sich für einen Moment auf den Zauber einzulassen. Ein guter Freund hat mal gesagt: „Wenn auch nur eine von hundert Personen, diesen Raum mit dem Gefühl verlässt, etwas mitgenommen zu haben, habe ich schon gewonnen.“ Er hatte Recht. So wenig Kunst die große Welt verändern wird, so sehr kann sie der kleinen Welt des Individuums Inspiration und Anreiz sein. Und jedes Feuer beginnt mit einem Funken, oder?
Hallo Friedrich
Ich mach’s ganz kurz.
Ob die einen glauben die Fotographie habe das gemalte Bild überflüssig gemacht oder dieses oder jenes ist gut, schlecht oder was auch immer interessiert mich schon lange nicht mehr.Mir gefällt dieses, jemand anderem jenes,Scheissegal.
Wenn ich etwas sehe das mir gefällt, das mich beeindruckt dann habe ich ein gutes Erlebnis. Das tut mir gut und macht mir Freude.
Die Diskussionen was ist Kunst und was nicht, was kann sie bewirken was nicht, für mich persönlich Zeitverschwendung.
Wenn jemand malen will dann malt er eben, wenn jemand eine Installation macht ja dann halt eben das. Etwas gefällt mir oder nicht, basta.
Und zum Abschluss dieses. Kunst ist nicht überflüssig den sie macht Freude und regt an, sie ist ein Teil des Menschen, war es schon immer, für den einen mehr für den anderen weniger.
Das ganze intellektuelle Geschwafel darüber
geht an mir vorbei
Wünsche Dir einen guten Start ins neue Jahr und komme im Frühling vielleicht Mal nach Bonn.
Grüessli Yvi