Während meiner Zeit in Australien habe ich mir zweimal ein Set von Ölfarben gekauft. Beide Male bin ich weitergereist und habe die Materialien zurücklassen müssen. In Melbourne habe ich dann meine zukünftige Freundin kennen gelernt und bin mit ihr zusammen nach Byron Bay gegangen. Auf unserem Weg haben wir einen viertägigen Zwischenstopp in Sydney eingelegt. Ich hatte zu diesem Zeitpunkt schon mit dem Gedanken gespielt, digitales Zeichnen auszuprobieren. In Sydney dann, liefen wir an einem Apple Store vorbei und ich dachte mir, es könnte nicht schaden dort mal reinzuschauen. Ich bat darum, das iPad Pro gezeigt zu bekommen. Zu meiner Freude war „Procreate“, ein bekanntes Zeichenprogramm, bereits auf dem Gerät installiert. Es brauchte kaum eine halbe Stunde, um mich zu überzeugen: Ich war begeistert, wie geschmeidig der Apple Pen meine Bewegungen überträgt und wie viele verschiedene Gestaltungsmöglichkeiten mir das neue Tool bot. Nach ein paar Stunden Bedenkzeit ging ich, kurz vor Ladenschluss, zurück in den Laden und kaufte mir mein neues Kunstspielzeug. In den folgenden Monaten malte ich viel darauf. Ich experimentierte herum und freundete mich mit dem Malprogramm an. Die Entwürfe für mein Wandbild in der Arts Factory Lodge in Byron Bay, sind komplett auf diesem iPad entstanden.
Das Malen in „Procreate“ ist, in so ziemlich allen Belangen, anders als herkömmliches Arbeiten. Anstatt vieler Pinsel, gibt es nur den einen sog. Apple Pen. Aufgrund verschiedener Sensoren können die Pinselbreite und Deckkraft mittels Druck und Neigung gesteuert werden. Pinselarten und Strukturen können aus einer großen Sammlung ausgewählt oder selbst erstellt werden. Der Pen reagiert erstaunlich schnell und man hat fast das Gefühl, auf echtem Papier zu zeichnen. Überflüssig wird das Mischen zähflüssiger Ölfarben, jede erdenkliche Farbe kann aus einer allumfassenden Farbskala oder einem Farbfeld ausgewählt werden. Man braucht weder Leinwände, noch Skizzenblöcke mit sich herum zu schleppen, digitale Malgründe sind in vielen Größen erstellbar. Alles, was man zum Malen braucht, ist handlich genug, in jedem Rucksack oder Tasche verstaut zu werden und nicht größer als ein Buch.
Für mich persönlich habe ich entschieden, dass ich aber trotz all der Praktikabilität des digitalen Zeichnens, einen ständig nachzuschärfenden Bleistift, 20 verschiedene Pinsel, klebrige Ölfarbe und unhandliche Leinwände, dem digitalen Malen vorziehe. Ein digitales Bild oder sein physikalischer Druck auf Papier, egal wie gut er ist, kann es nicht mit der feinen Struktur und der leuchtenden Farbe eines handgefertigten Ölbildes aufnehmen. Das Erleben des Materials und auch, die damit manchmal einhergehenden Schwierigkeiten, sind für mich ein wichtiger Teil des kreativen Schaffensprozesses. In einigen Fällen, kann so ein Zeichentablet aber schon ein recht praktisches Hilfsmittel sein. Besonders zum Kombinieren und ausprobieren verschiedener Referenzbilder, ist es für meinen Malprozess inzwischen ein wichtiges Instrument geworden.
Neben einigen Porträts, Akt- und Landschaftskizzen habe ich in meiner Zeit in Australien auch das Bild „Taste“ gemalt. Es ist eines meiner persönlichen Lieblinge, weshalb ich hier ein paar Worte dazu schreiben möchte. In dem Bild beschäftige ich mit einem Thema, das heute aktueller ist denn je: Sexualität. Wahrscheinlich hatten wir in Europa gesellschaftlich noch nie eine größere Akzeptanz für sexuelle Ausrichtungen und Neigungen als heutzutage. Dennoch empfinden einige Menschen bestimmte Ausrichtungen und Neigungen als unmenschlich und eklig. Letzteres ist wohl verständlich, ich zum Beispiel finde Kaffee auch eklig, obwohl andere ihn lieben. Deswegen ist Kaffee trinken aber nicht pervers.
Es war sehr einschüchternd für mich, nicht zu wissen, ob die eigenen Ausrichtungen von meinen Nächsten belächelt oder gar als abartig angesehen werden. Es jagte mir große Angst ein und viele Jahre habe ich kein Wort darüber gesprochen. Dann aber habe ich die Erfahrung gemacht, dass die meisten Menschen, bei einem tatsächlichen Gespräch ganz anders reagierten, als von mir befürchtet. Sie waren freundlich und verständig, reagierten interessiert, manchmal etwas überrascht, aber keiner war abgestoßen. In diesem Bild habe ich ein für mich sehr wichtiges Thema behandelt. Ich wollte es mir ein bisschen von der Seele malen und das, mir selbst auferlegte Tabu, brechen. Seitdem hat es sich als ein kleiner Meilenstein auf meinem bisherigen künstlerischen Weg erwiesen.
Bei einer schamanischen Cabaret-Show in der Arts-Factory Lodge malte ich eine zweistündige Live Version dieses Bildes mit Acryl auf Holz. Das Thema der, von einem Freund organisierten, Show war „Sexualität“. Das passte natürlich wie die Faust aufs Auge, hatte ich doch die digitale Version kurz zuvor fertig gestellt. Es war ein sehr aufregender Moment für mich, ich hatte keine Ahnung wie die Leute reagieren, ja, ob es überhaupt jemand verstehen würde. Niemand außer meiner Freundin und mir wussten überhaupt, was ich malen würde. Tatsächlich verstanden es dann aber doch einige. Natürlich gab es auch den ein, oder anderen schmuddeligen und eher unpassenden Kommentar, doch haben sie mir schlussendlich genauso Mut gemacht wie Worte des Lobes. Am Ende, kann ich sagen, hat dieses Bild eine große Ader von Selbstbewusstsein in mir freigelegt.
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